Freitag, 21. November 2014

The Black Dog

Wir haben einen neuen Hausbewohner. Einen blinden Passagier, um genau zu sein. Ungebeten ist er in unser Leben getreten, hat sich durch irgendeine Hintertür heimlich hineingeschoben.

Seine Präsenz war niemandem klar, er schlich durch unser Lebenshaus, hinterließ kleine Schatten hier und da. Was ist schon ein kleiner Schatten? Der fällt nicht weiter auf, so viele Dinger hinterlassen Schatten. Flüchtige oder bleibende.

Unser neuer Mitbewohner hat angefangen zu bellen. Ganz selten zuerst, kaum wahrnehmbar. Dann lauter und öfter. Aber auch hier blieb er unentdeckt. Bellen einen nicht so viele Lebensumstände an, muss man sich nicht oft genug die Ohren zuhalten und weiter gehen? Der Mensch gewöhnt sich erstaunlich schnell an neue Umgebungsgeräusche, hört sich nicht mehr, obwohl sie da sind.

Dieser blinde Passagier ist ein Meister der Verwandlung, sein Erscheinungsbild ist vielfältig, schwer erkennbar und flüchtig. Er will auf keinen Fall enttarnt werden.

Er begann, größer zu werden, uns in verschiedene Ecken des Zimmers zu drängen, so dass wir uns kaum noch hören und verstehen konnten. Er hielt jeden, der vorwärts wollte, am Hosenbein fest und stemmte alle Viere in den Boden. Er kroch in unsere Köpfe und verdunkelte unseren Blick. Er generierte Angst, Paranoia und Panik in ungekanntem Ausmaß.

Wir entdeckten ihn erst, als er so groß war wie unsere gesamte Wohnung. Nein, so groß wie unser Leben. Es war keine Bewegung mehr möglich. Da saß er, auf der Brust meines niedergestreckten Mannes und drückte ihm die Luft ab, raubte ihm den klaren Verstand, die Lebensfreude. Er verbreitete unsägliche Verzweiflung.

Auf einmal verstand ich: wir hatten THE BLACK DOG im Haus. Schnelles Handeln war notwendig. Habe Ehemann samt Black Dog ins Auto bugsiert, habe mich von Zähnefletschen, Knurren und Bellen nicht beeindrucken lassen. Hilfe musste her, von jemandem, der sich mit the Black Dog auskennt. Uns sagen konnte, wie wir ihn wieder loswerden.

Und dann waren sie weg. Mein Mann und der Black Dog. Hinter zwei Glastüren verschwunden. Ich ging heim, mit Traurigkeit und Verzweiflung im Herzen. Die Wohnung schien so leer. Ich suchte sie nach black-dog-Spuren ab, beseitigte sie, versuchte meinen eigenen Kopf zu reinigen von diesem Unwesen. Jedes Treffen mit meinem Mann und damit dem black dog barg die Gefahr der Ansteckung. Ich redete von Welten ohne Black Dog, von Fröhlichkeit, von Zukunft, von Zuversicht, davon dass es richtig war, dem Black Dog an den Kragen zu gehen. Musste es immer wieder wiederholen. Ich musste stark sein, mich selbst nicht vergessen, dem Sumpf fern bleiben. Abgrenzung. Bis hier und nicht weiter. Den Black Dog an seinen Platz verweisen. Harte Arbeit.

Er ist geschrumpft. Er mag es nicht, wenn man ihm auf die Spur kommt. Wenn man seine Machenschaften durchschaut und sie nicht mehr zu lässt. Wenn man über ihn redet. Er ist handzahmer geworden. Er lässt sich an die Leine legen und bellt nicht mehr so laut.

Sie sind wieder daheim, Ehemann und Black Dog. Wir arbeiten daran, ihn loszuwerden, diesen unlauteren Gesellen. Vielleicht schaffen wir es. Vielleicht bleibt er aber auch bei uns. Dann aber nur angeleint und hoffentlich streicholzschachtel-klein. Das ist das Ziel.

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