Rezensionen

Dienstag, 24. April 2018

"Immer ist alles schön" von Julia Weber - eine Rezension

»Immer ist alles schön« ist ein Roman von Julia Weber und ist 2017 im Limmat Verlag Zürich erschienen.

Dieses Buch ist wahrlich das traurigste, das ich seit langem gelesen habe. An manchen Stellen war es so traurig, dass ich meinte, nicht weiterlesen zu können.

Anais und ihr Bruder Bruno leben mit ihrer Mutter zusammen irgendwo am Rande der »normalen« Welt. Die Kinder gehen in die Schule, die Mutter arbeitet als Tänzerin in einer Bar und versucht, das Leben als alleinerziehende Mutter zu meistern. Oft braucht sie dazu Alkohol und immer wieder Männer. Männer, die in das Leben der Kinder kommen und die den Kindern Angst machen, ihre Welt zur verlieren, aber auch einen Hoffnungsschimmer von Normalität geben. Die Mutter allerdings beendet jede Beziehung, die ernster wird, fast fluchtartig, und die Dreisamkeit ist wieder hergestellt.

Anais und Bruno flüchten sich in ihre eigene innere Welt, in der auf der Straße aufgesammelten Dinge und viel Plunder im Haus eine tragende Säule ihrer Struktur einnehmen. So drücken sie der äußeren – meist chaotischen – Welt ein Gerüst auf, um den inneren Halt nicht zu verlieren. Dass Außenstehende, wie Anais‘ Klassenkamerad Peter, mit dem sie so gerne reden würde, diese Welt nicht begreifen können, macht die Sache nicht leichter.

Sie lieben ihre Mutter und versuchen mit allen Mitteln, ihre Welt vor Eindringlingen wie dem Riesen vom Jugendamt zu schützen.

Als die Mutter eines Tages vollständig verschwindet und nichts hinterlässt als eine Postkarte mit einem Gruß, lässt Anais für ihren Bruder eine fantastische Welt entstehen, um ihn über den Verlust seiner Mutter hinwegzutrösten. Die Wohnung wird mit Hilfe von diversen Materialien aus der Natur zu einem ganz eigenen Kosmos mit eigenen Regeln.

Ich habe selten ein Buch gelesen, das mich so tief im Herzen berührt hat, dass ich das kaum ertragen konnte, die Seiten umzublättern. Immer wieder wäre ich am liebsten in die Geschichte hineingestiegen und hätte die beiden Kinder da raus geholt und sie einfach in die Arme genommen. Die Charaktere der Kinder sind in ihrer kindlichen Welt meisterhaft gezeichnet und gehen einem tief unter die Haut.

Das Buch ist in der Ich-Perspektive aus Anais‘ Sicht geschrieben, was dem Geschehen eine noch intensivere Dimension verleiht, da man alles wirklich als nächster Nähe erlebt. Die Autorin lässt dem Leser keinen Fluchtweg, nimmt ihn mit in die tiefsten Empfindungen dieses Mädchens. Dazwischen gibt es Passagen aus der Sicht der Mutter, die eine zutiefst depressive Frau zeigen.

Schon allein wegen der Sprache, die Julia Weber hier benützt, lohnt es sich, dieses Buch zu lesen. Wunderschöne Sätze und Vergleiche zaubern eine fast traumhafte Atmosphäre, trotz des ernsten Themas.

Es ist ein Buch über die Liebe zwischen zwei Geschwistern. Zwei Kinder, die es fertig bringen, sich gegenseitig Halt zu geben. Sie kennen ihr Leben nicht anders und schaffen es irgendwie, damit fertig zu werden. Ich war tief betroffen. Anais und Bruno werden mich noch lange begleiten.

Donnerstag, 5. April 2018

Rezension zu "Hortensiensommer" von Ulrike Sosnitza

»Hortensiensommer« ist ein Roman von Ulrike Sosnitza und ist 2018 im Heyne Verlag erschienen.

Dieser Roman spielt in dem beschaulichen fränkischen Dorf Sommerhausen. Johanna, Gärtnerin von Beruf, lebt nach der Scheidung von ihrem Mann alleine in einem großen Haus mit Garten und sucht einen neuen Mieter für die freigewordene Einliegerwohnung. Philipp mit dem Panamahut, Lehrer, attraktiv und alleinstehend, schein der ideale Mieter zu sein. Nur das ausdrückliche Verbot, Johannas Garten zu betreten, ignoriert er geflissentlich. Nicht nur das, er beginnt auch noch, Johanna vorzulesen – und langsam öffnet sich Johanna für eine zarte Freundschaft mit ihm. Als jedoch auf einmal Philipps kleine Tochter auftaucht, ist Johanna wie von Sinnen. Sie kündigt das Mietverhältnis und möchte weder mit Philipp noch mit dem kleinen Mädchen etwas zu tun haben. Es wird sehr klar, dass sowohl Johanna aber auch Philipp eine Menge trauriger Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit haben, die erst einmal zwischen ihnen stehen.

Ulrike Sosnitza ist hier ein Roman gelungen, der weit jenseits von einer leichten Sommerromanze liegt, die das Buch auf den ersten Blick vielleicht versprechen mag. Hier geht es um ernsthafte Themen wie Familie, Scheidung, Verlust, Trauer und überhaupt das Zwischenmenschliche, das mitunter sehr schwierig sein kann. All diese Themen sind auf sehr einfühlsame und liebevolle Weise behandelt. Der Schreibstil kommt flüssig und leicht rüber, das Buch lässt sich ohne große Haken und Hänger lesen. Nur am Ende des ersten Drittels gibt es so ein paar Seiten, wo man durch muss, bevor die Handlung wieder richtig anzieht. Dann jedoch kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis man herausgefunden hat, was hinter Johannas Geheimnis steckt.

Beide Hauptcharaktere sind gut ausgearbeitet und wirken mit all ihren Schwächen und Fehlern so lebensecht, wie man es sich von Charaktere nur wünschen kann. Johanna mit ihrer seelischen Not handelt mitunter etwas impulsiv, aber das ist in Anbetracht ihrer Situation durchaus realistisch. Philipp ist ein Traummann, der sich kümmert und auf ganz liebevolle Weise für Johanna da ist, gerade als er von ihrem Geheimnis erfährt und sie selbst nicht in der Lage ist, klar zu sehen.

Neben diesen Themen bekommt der Leser auch noch einen wunderschönen Einblick in die Gärtnerei, die Liebe zu den Pflanzen und einige wirklich gelungene Garten- und Pflanzenbeschreibungen. Einfach schön.

»Hortensiensommer« ist ein wirklich emotionaler Roman, der einen noch lange nach dem Lesen weiter beschäftigt. Ich habe ihn sehr gerne gelesen und kann ihn nur weiterempfehlen.

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