Donnerstag, 31. Januar 2008

Musikerfamilie feiert 80. Geburtstag

Meine Oma ist letzte Woche 80 geworden. Wir haben feste gefeiert. Und wie genau muss man sich einen so wichtigen, runden Geburtstag einer 80-jährigen Musikerin vorstellen? Diese Frage ist eigentlich ganz einfach zu beantworten: Es wird Musik gemacht. Was auch sonst.

Schon Wochen vorher hat die ganze Familie diverse Noten in die Hand gedrückt bekommen. Das will sie gespielt haben, und jenes, und dieses, und überhaupt! Dies und das wäre auch noch ganz nett. Also gut. Da die ganze Family in halb Europa verteilt lebt, gibt es natürlich keine Proben vorher. Aber was soll's, wir sind alle irgendwie Profis - oder auch nur Möchtegern-Profis - und werden das Kind schon schaukeln. Wir spielen ja nur für uns.

Um 11 Uhr geht's los. Es sind einige Leute da. Alles Family. Oder ehemalige Schüler, die bei uns ein und aus gehen, als wären sie Family. Wir spielen das Klarinettenquintett von Mozart. Schön. Sehr schön. Meine Oma sitzt in ihrem Sessel und hört uns gebannt zu. Den zweiten Satz will sie selbst spielen. Ich überlasse ihr meinen Platz in der zweiten Geige. Und höre zu. Schiefe Töne, gerade Töne, gruselige Töne, schöne Töne. Mein Schwesterherz trudelt ein mit ihrem Jüngsten, der gerade mal 5 Wochen alt ist. Der guckt ein wenig verdattert, als er dann aufwacht. So viel Lärm.

In der Pause schleicht meine Cousine mit ihren Mathe-Büchern herein und stiehlt mir meine bessere Hälfte. Hilfe, ich schreibe eine Mathe-Schulaufgabe, steht in ihren Augen geschrieben. Kannst du mir helfen? Wir lassen die beiden ziehen - und sehen sie stundenlang nicht mehr.

Nach Kaffee und Kuchen geht es weiter mit Musik. Bach, 3. Brandenburgisches Konzert. Jetzt sind wir so viele Leute, dass wir stehen müssen, weil wir sonst nicht alle Platz haben. Das ganze Wohnzimmer ist gesteckt voll mit Streichern. 4 Celli, 3 Bratschen, viele, viele Geige. Auch wenn es die Besetzung nicht vorsieht, haben wir noch eine Klarinette und eine Querflöte. Wow! Es geht los. Manch ein Schulorchester klingt besser. Aber keines hat so viel Spaß wie wir. Und Klein-Levin liegt in den Armen einer Nicht-Spielerin und schläft. Musik? Stört mich nicht. Darf es auch nicht, Kleiner, immerhin bist du zur Hälfte aus einer Musikerfamilie. Der Ältere vom Schwesterherz ist krank und kann nicht dabei sein. Schade. Er wäre glückselig zwischen den ganzen Geigen hin und her gelaufen und hätte auf jede gedeutet und "ha-ha" gesagt. Das heißt Geige auf Simonisch. Mir hat er gefehlt, mein kleiner Neffe, der seit Levins Geburt auf einmal der Große ist.

Wir sind durch mit Bach, ohne Adagio-Kadenz (obwohl ich die sogar geübt hatte - und extrem schön finde). Tolles Stück, würde es gerne nochmal spielen. Aber es geht weiter. Hopp, hopp, es steht noch einiges auf dem Programm. Meine Tante verteilt neue Noten. Eine Bearbeitung (von ihr) des Marche Militaire von Schubert. Sehr cool. Ich kenne das Stück nur für vierhändiges Klavier. Aber das macht mal Spaß zu spielen.

Nach einer kurzen Pause wird es ernst. Meine Freundin und ich spielen - geübt und ganz ernsthaft - den zweiten Satz aus der G-Dur Sonate von Brahms. Meine Oma hat es sich gewünscht und wir haben lange daran geprobt. Es läuft richtig gut. Wow!

"Was ist mit Brahms - Ungarischem Tanz Nr. 1?", fragt meine Freundin dann. Zugabe wäre nicht schlecht. Mist, hat keiner dran gedacht, die Noten liegen daheim. Und hier hat sie keiner. Pech gehabt.

Macht aber nix, wir gehen über zum nächsten Programmpunkt. Mozart: Kleine Nachtmusik. Wieder eine abenteuerliche Besetzung. Mit Querflöte und Klarinette neben den ganzen Geigen. Und vier Celli.
"Wir spielen euch in Grund und Boden", schreit meine Schwester und lacht. Pah, denken wir Geigen uns. Wir sind in der Mehrzahl. Es klingt zum Teil schaurig, aber alle sind dabei, sogar meine Oma hat die Geige in der Hand. Noch einmal spielen, auch wenn's weh tut.

Dann kommt das Buffet. Auch aus der Familie. Irgendein Verwandter hat einen Party-Service und fährt groß auf. Mmmh. Lecker. Tolle Sachen. Erst kriege ich nicht viel ab, weil ich Klein-Levin herum trage, damit er was zu sehen kriegt von der Welt. Aber wir bezwingen das Buffet nicht, jeder darf noch was mit nach Hause nehmen.

Musikalisch wird es lustig. Sechshändiges Klavier. Klasse. Die drei Spieler kommen sich ganz schön in die Quere mit den Händen. Und mit dem Notenlesen ist es auch nicht so leicht. Hilfe, wo muss ich nun hinschauen? Wo geht's weiter. Hier! Ach so. Die Spielerinnen lachen mindestens so wie das Publikum.

Eine ehemalige Schülerin meiner Oma packt das Bach d-moll Konzert für zwei Violinen aus.
"Muss ich unbedingt mal gescheit spielen", sagt sie, "weil im Orchester, wo ich gerade bin, da spielen zwei so Krücken die Solo-Stimme, das macht mich fix und fertig."
Bach ist super. Wir suchen uns eine Pianistin und jemanden für den Continuo und los geht's. Es steht nicht ein Fingersatz in den Noten, geschweige denn Striche oder sonst irgendwas, was hilfreich sein könnte. Aber macht nix. Wir kommen durch, ohne rauszufliegen. Das ist die Hauptsache. Meine Oma schlägt die Hände über dem Kopf zusammen ist und hegt Fluchtgedanken. Dieses Stück haben SEHR viele Schüler von ihr gespielt.

Am Schluss sitzen wir nur noch beisammen und ratschen. Voll zufrieden, weil wir alle mal wieder richtig viel Musik gemacht haben. Und für die nächsten Wochen sind schon ein paar neue Kammermusik-Pläne geschmiedet worden.

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