Dienstag, 13. Februar 2018

Der weinende Clown

Man kennt es ja, das Bild des Clowns, der sich hinter seiner Maske mit dem großen lachenden Mund und der roten Nase versteckt und eigentlich tief traurig ist. So fühlte ich mich ich den letzten Tagen auch. Die imaginäre Schminke dick aufgetragen, ein Lachen aufgemalt, und raus in die Welt.

Am Sonntag war Faschingsumzug angesagt. Meine Tochter hatte eine Bärenmaske über dem Gesicht, mein Sohn einen Totenkopf. Ich hatte nichts, mir war so gar nicht danach, ich hatte nur das mit imaginärer Schminke aufgemalte Grinsen. Mir kam die Fröhlichkeit auf diesem Umzug ähnlich aufgesetzt vor. Es war ein Versuch, fröhlich zu sein. Mir war, als sähe ich hinter die Fassaden und entdeckte dort so viel Ungelöstes, Trauriges, Nachdenkliches. Wenn man die Leute genau anschaut und sie nicht gerade in ein Gespräch mit den Kumpels verwickelt sind, wenn sie einige Sekunden irgendwo hinstarren und auf ihre Gedanken hören, kann man das sehen. Der Gesichtsausdruck wird ein anderer. Mit ein paar Flaschen Bier oder ein paar kleinen Feiglingen lässt sich das alles gut im Schach halten. Mir wäre auch danach gewesen, aber mit Auto und Verantwortung geht sowas natürlich gar nicht. Also habe ich dem Treiben mit unvernebeltem Geist zugeschaut. Wie so manches Mal bei solchen Gelegenheiten fühlte ich mich wie hinter Glas. Ich sehe alles, ich höre alles, aber ich kann nicht daran teilnehmen. Manchmal stehe ich dort und drücke mir die Nase platt und denke mir, dass ich doch nur einen kräftigen Schritt zu gehen bräuchte und schon stünde ich auf der anderen Seite der Glaswand, könnte mich in die Fröhlichkeit stürzen, die Leichtigkeit des Seins würde mich umwehen wie ein Hauch Sommerwind. Ich sehne mich danach, die Augen zu schließen und zu dem Wummern der Musik zu tanzen, ohne einen Gedanken an gestern, heute oder morgen zu verschwenden. Manchmal drehe ich mich um, lehne mich mit dem Rücken an das kalte Glas, höre das Treiben hinter mir und frage mich, was das eigentlich alles soll. Die Welt ergibt in solchen Momenten keinen Sinn.

Heute hatte ich eine meisterhafte Clownsmaske auf. Auch diesmal nur imaginär, aber sehr notwendig. Familienfeier des Geburtstags meiner Tochter. Es war eine schwere Geburt, diese Feier. Sonst haben wir diese Feste immer bei meiner Oma gefeiert. Sie war das Zentrum des erweiterten Familienlebens. Jetzt erschienen alle anderen Örtlichkeiten unpassend, fad. Aus diversen verschworbelten Gründen konnten wir nicht bei uns zuhause feiern, wir haben uns dann bei meiner Tante getroffen. Alles geplant, Krapfen, Kuchen, Kerzen, Geschenke. Alle da. Aber es waren eben nur zehn Leute, statt der sonst üblichen elf. Ich habe in meinem Kopf ständig mit elf Menschen gerechnet, mich ständig verzählt.

So viele Gesichter, die verwirrte und verirrte Trauer zeigten, blanke Nerven, dicht unter der Oberfläche brodelnde Hysterie. Leute, die sich, ebenso wie ich, die imaginäre Schminke mit Clowngrinsen dick ins Gesicht gemalt haben. Ewiges Gerede und Geschimpfe über das Haus-Drama, so viel Bitterkeit, so viel Gift und Galle. Bis mein Schwager und ich gesagt haben, dass wir absolut nichts mehr davon hören können und wollen. Dann war damit erst mal Ruhe.

Ganz neu, ohne die alte ehrwürdige Dame: die junge Generation hat das Handy an die Boxen angeschlossen und auf einmal war da Musik. Mitreißende Klänge, die einem in die Füße schießen und den Körper in Bewegung bringen. Ich saß da, habe gelächelt, mich im Takt der Musik ein wenig bewegt und wäre beinahe an dem verdammten Kloß im Hals erstickt. Nur gut, dass mich in dem Moment keiner angesprochen hat. Das hätte eine wahre Katastrophe gegeben. Wenn ich traurig bin, kann Musik der echte Killer sein ... Irgendwann habe ich mich von meinem Stuhl erhoben, ächzend ob der Schwere, die mich derzeit umhüllt, habe mir meine Tochter geschnappt und mit ihr getanzt. Bewegen, lächeln, nicht weinen, nicht weinen. Und wenn’s für sonst nichts gut ist, dann wenigstens für sie. Ein bisschen konnte ich die Schwere abschütteln. Als würden die Schritte hier hin und da hin die Gedanken durcheinanderwirbeln und sie auf eine andere Art und Weise wieder zusammensetzen. Neue Gedanken, neue Formationen.

Wir als Großfamilie tasten uns an eine neue, andere Zukunft heran. Anders muss es sein, notgedrungen. Wie soll es sein? Wie kann es sein, um allen halbwegs gerecht zu werden? Warum nur fällt mir der Abschied von dem Vergangenen so wahnsinnig schwer? Meine Füße fühlen sich an, als wären sie mit Betonblöcken versehen, die es mir, wenn auch nicht unmöglich, so doch sehr schwer machen, vorwärtszugehen. Irgendwas hält mich zurück. Lässt mich (noch) nicht los. Was ist das? Ich werde es herausfinden. Irgendwann. Und dann sollte der Weg nach vorne leichter werden. Bis es soweit ist, werde ich mir noch einige Packungen Schminke zulegen müssen.

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