Samstag, 24. Februar 2018

Über die Flüchtigkeit des Lebens

Blume2

Es ist altbekanntes Wissen, dass jedes Leben irgendwann sein Ende findet. Geht alles seinen normalen Gang, erreicht der Mensch ein Alter von, sagen wir mal, durchschnittlich 80 Jahren. 80 Jahre auf dieser Erde sind doch eine gewaltig lange Zeit und von Flüchtigkeit kann hier nicht die Rede sein. Das Leben scheint lang und ausdauernd, und wenn man sich selbst so betrachtet, steckt es felsenfest in einem drin und macht keine Anstalten, das Weite zu suchen.

Und dennoch gibt es immer wieder Geschehnisse, die einen daran erinnern, wie schnell das Leben verschwinden kann, und die betroffene Person nicht mal in die Nähe der 80 Jahre kommt. Hier fallen einem auf Anhieb ein Unfall oder eine schwere Krankheit ein.

Vor allem bei ersterem wird ein Leben ausgelöscht, das unter Umständen noch viel, viel länger hätte dauern können. Wäre man doch nur pünktlich losgefahren, hätte man, wie ursprünglich geplant, einen anderen Zug genommen, einen anderen Flieger, besser aufgepasst ... ein ewiges Hätte-Wäre-Könnte setzt hier ein, die Gedanken kreisen um diese unendlichen Möglichkeiten, wie dieser tragische Unfall hätte verhindert werden können.

Bei Krankheit ist die Sachlage eine andere. Es gibt wenige Krankheiten, die man durch Hätte-Könnte-Sollte verhindern hätte können. Wenn der Organismus - aus welchem Grund auch immer - schwach ist und eine tödliche Krankheit entsteht, dann kann man nicht aus. Gefangen in einem dahinsiechenden Körper muss man das Schicksal ertragen, wozu auch immer es gut sein mag, und früher als einem lieb ist Abschied nehmen von dieser Welt und den lieben Personen um einen herum. Vielleicht empfinden es alle Beteiligten erst einmal als Erleichterung, dass das Leiden und die damit verbundenen seelischen Belastungen ein Ende gefunden haben. Dennoch ist ein Leben zu Ende gegangen, das unter anderen Umständen vielleicht länger gedauert hätte. Auf einmal gibt es Waisen, oder verwaiste Eltern oder, oder, oder.

Ganz perfide wird es, wenn man sich mit einem Mord konfrontiert sieht. Mord ist etwas, das in den Zeitungen steht. Das man im Radio hört, im Internet liest. Es ist nichts, was MIT EINEM PERSÖNLICH etwas zu tun hat. Bis es dann eben doch anders kommt. Da hört man von einem Doppelmord in Petershausen, ach ja, wieder so ein Spinner, der zwei Frauen umgebracht hat. Schlimm, schlimm, die waren ja so alt wie ich, ja, ja - was tue ich denn heute auf die Pausenbrote? Und dann, keine zwei Stunden später trudelt eine Email ein, dass eine der ermordeten Personen jemand war, mit dem man 13 Jahre lang in die Schule gegangen ist.

Wie bitte? WIE BITTE????

Was schreibst du da? Eine von diesen Frauen ist M.? Aus meiner Klasse? Mit der ich im Grundschulalter doch auch befreundet war? Bei der ich übernachtet habe? Deren Schwester mit meiner Schwester total eng war. Die mich immer zum Geburtstag eingeladen hat.

Ermordet? Er ... WAS??? Sie????

Ach du heilige Sch***. Ich habe M. seit gut 21 Jahre nicht mehr gesehen. Mindestens. Aber trotzdem habe ich ein klares Bild vor mir aus einem der letzten Jahre an der Schule, ein fast erwachsenes Mädchen, lange dunkelblonde, ins rötliche gehende Haare. Still. Immer so ein bisschen in einer anderen Welt, so habe ich sie in Erinnerung. Wer kommt denn auf die Idee, so jemanden umzubringen? Die Tatsache, die ich etwas später per Totenanzeige schwarz auf weiß vor mir liegen habe, dringt lange nicht in ein fühlbares Erleben vor. Ich weiß es, mir gruselt es, wenn ich darüber nachdenke, aber mein Gehirn weigert sich nach wie vor eine wirklich tiefergehende emotionale Reaktion zu produzieren. Kurz: ich kann es einfach nicht fassen. Vielleicht fasse ich es morgen, wenn die Trauerfeier stattfindet und ich mit so einigen anderen Klassenkameraden daran teilnehmen werde. Vielleicht dann.

Wenn man darüber nachdenkt, erscheint einem das Leben als ein sehr flüchtiger, ja zerbrechlicher Wegbegleiter. Wie schnell man es zerbrechen kann, unwiderruflich auslöschen, mit roher Gewalt. Es ist wirklich erschreckend. Und macht nachdenklich.

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