Montag, 5. März 2018

Scheitern und Gelingen

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Immer wieder wundere ich mich über das Auseinanderdriften davon, wie andere Menschen einen erleben und wie man sich selbst sieht. Ich höre oft von außen »ist ja toll, was du alles schaffst« oder auch »wie schaffst du das nur alles?«. Ich stehe dann immer etwas verwundert da und denke mir: du hast ja keine Ahnung. Ich schaffe überhaupt nichts. Gar nichts. Im Gegenteil. Das Leben ist in vielen Teilen ein ständiger Kampf, nicht aufzugeben und das, was einem lieb und wichtig ist vollends zu verlieren oder wütend in die Ecke zu schmeißen, weil man es nicht mal halbwegs so hinbekommt, wie man sich denkt, dass es sein soll.

In meinen allerschönsten Vorstellungen habe ich einen halbwegs ausgearbeiteten Wochenplan dessen, was ich schaffen und erreichen möchte, sowohl schreibtechnisch als auch von den sonstigen zu erledigenden Dingen. Dann setze ich mich diszipliniert und in vollem Besitz meiner geistigen Fähigkeiten und Konzentration an die Aufgaben und erledige sie. Am Ende der Woche habe ich dann das Gefühl, etwas geschafft und erreicht zu haben. Das ist die Theorie.

Die Realität schaut vollkommen anders aus. Ich schaffe es nicht mal, mir einen Wochenplan auszudenken, der auch nur im Ansatz die Chance hat, durchgeführt zu werden. Bei meinem Romanprojekt zum Beispiel habe ich keinen blassen Schimmer, wie die nächsten Schritte konkret auszusehen haben. Natürlich weiß ich, dass ich mich hinsetzen muss, eine Struktur ausarbeiten, die Figuren entwickeln, das alles zusammenfügen, einen Kapitelplan machen, so dass ich mich anschließend hinsetzen und das Ding runterschreiben kann. Die wunderbare, glasklare Grundidee ist super. Aber was tue ich konkret, wenn ich eine halbe Stunde Zeit habe, mich mit meinem Romanprojekt zu beschäftigen? Ich frage mich, ob es besser ist, den Laptop hochzufahren oder ob ich das Notizbuch hernehmen soll. Bin schon zerrissen zwischen diesen Welten, bevor ich mir überhaupt überlegt habe, WORAN ich jetzt arbeite. Dann setze ich mich hin und denke ich ein bisschen über die Hauptfigur nach, mache ein paar halbherzige Notizen und dann ist die halbe Stunde vorbei. Und ich habe das Gefühl, rein gar nichts geschafft zu haben.

Ich fühle, ich bin gescheitert. Mal wieder.

Um diesem Gefühl des Scheiterns zu entgehen, tendiere ich dazu, in diesen kurzen Momenten lieber Dinge zu tun, die mir tu-bar erscheinen. In einer halben Stunde kann ich locker ein paar Seiten lektorieren, da muss ich nicht erst darüber nachdenken, was ich als nächstes tun muss. Hinsetzen, lesen, korrigieren. Kein Problem. Oder schnell ein paar Emails beantworten. Schnell was nachschauen, schnell dies, schnell das.

Dabei verliere ich immer mehr das aus den Augen, was ich wirklich tun will, was mir seelenwichtig ist. Das liegt irgendwo im Hinterstübchen meines Gehirns, groß und schwer, will angepackt werden, lässt sich aber nicht so recht ergreifen. Was ist dieses Große eigentlich genau? Und wie kann ich es definieren, erlebbar und damit anpackbar machen? Das Große in meinem Kopf ist natürlich das Schreiben. Der Wunsch, Schriftstellerin zu sein, als Schriftstellerin zu leben. Was auch immer das genau bedeutet. Von der Ferne betrachtet ist es ein wunderschöner Kristall, der in der Sonne in allen möglichen Farben glitzert. Eine romantische Idee vom Sitzen in Cafés oder in einem Zimmer mit See- und Bergblick, Notizblock, Laptop, Gedanken fließen in die Feder, lassen sich in wunderschöne Worte verpacken, zu Geschichten verweben. Alles ist im Fluss, leicht wie eine Schneeflocke, lässt sich formen und drehen und hinten kommt ein Meisterwerk heraus.

Geht man näher heran an diesen schimmernden Kristall, dann wird er zu einem riesigen Berg, der romantische Traum liegt irgendwo auf der Spitze. Vielleicht. So genau kann man das von unten nicht sehen. Der Berg selbst besteht aus härtestem Glas, so glatt und steil, dass man keine Aufstiegsmöglichkeit finden kann. Und hat man doch den Pickel irgendwo hineingehauen und sich ein paar Zentimeter nach oben gehievt, muss man anhalten und stillstehen, um sich den weiteren Weg zu erschließen. Man tut und macht, man versucht dies und jenes, nichts ist in Bewegung, nichts geht vorwärts, nichts fließt, man ist froh, nicht wieder hinunterzufallen. So kommt mir vor. Und dennoch erschließt sich auf einmal wieder ein Wegstück, liegt hell und klar vor einem und man kann weitergehen.

Die Frage meines Lebens lautet also: Wie kann man den Berg in kleine begehbare Wegstückchen verwandeln?
Ich denke, für mich liegt die Lösung hier:

Erstens: Mir absolut klar zu sein, dass ich bereits eine Schriftstellerin bin, und nicht erst werden muss. Ich muss nicht auf die Spitze dieses Berges, um das zu sein, was ich sein will. Soll heißen, nur weil ich noch keinen großartigen, nobelpreisverdächtigen Roman in einem großen Verlag veröffentlicht habe, bin ich deswegen nicht ein bisschen weniger Schriftstellerin, als ich es mit solch einem Erfolg wäre.

Zweitens: Schreiben ist nicht das Sitzen an einem bestimmten Ort mit Berg- oder Seeblick und die Worte fließen einem wunderbarerweise in die Feder. Schreiben ist harte Arbeit. Schreiben kann einsam machen, die Familie gegen einen aufbringen, schreiben bedeutet, um Formulierungen zu ringen, vor dem Computer zu sitzen und Buchstaben aneinanderzureihen, so dass es sinnvolle Worte und Sätze werden. Schreiben heißt, der Kreativität den Raum zu geben, dass sie arbeiten kann und ihr nicht durch allerlei selbstzerstörerisches Verhalten das Wasser abzugraben. Schreiben heißt auch, sich auf die Couch zu setzen und Löcher in die Luft zu starren, um die kreativen Quellen im Inneren in Bewegung zu bringen. Das darf ich tun, ohne vor schlechtem Gewissen zu vergehen. Irgendwann, Tage, Wochen oder Monate später macht es »plopp« und auf einmal dringen Ideen, Wörter, Sätze nach oben, die man nur noch aufschreiben muss.

So betrachtet bin ich eine äußerst fleißige Schriftstellerin. Mein Kopf arbeitet immer an irgendwas, selbst wenn ich in der Arbeit sitze und Zahlen in den Computer hacke. Diese Idee jetzt noch so in meinem Bewusstsein zu verankern, dass ich sie mir selbst mit meinem ewigen Zweifeln nie wieder nehmen kann, das muss ich noch tun.

Am Ende bleibt die Frage der Zeiteinteilung. Wie kann ich diese Zeitfetzen, die mir hier und da zufliegen, sinnvoll nutzen und sie zu einem großen Zeitteppich zusammenweben, so dass etwas vernünftiges dabei herauskommt? Wie kann ich mir das Gefühl ausreden, dass ich mit so wenig zusammenhängender Zeit nichts schaffen kann? Wie kann ich mich dazu bringen, größere Zeitfenster, die ich habe, wirklich dem Schreiben zu widmen und nicht irgendwas etwas anderes aus der schier endlosen To-Do-Liste einer berufstätigen, vielbeschäftigten Mutter zu erledigen? Was kann ich tun, um mir selbst zu erlauben, dem Schreiben die verdiente Priorität einzuräumen? Immer wieder kommt mir der Gedanke, dass ich mir selbst im Weg stehe. Weil ich zu schwach bin, meine Liebesbeziehung mit der Schriftstellerei offen und klar nach außen zu kommunizieren, voll und ganz dahinter zu stehen, der Außenwelt keinerlei negative Einmischung zu erlauben. Das fällt mir unglaublich schwer. Wie oft habe ich das Gefühl, dass ich diese Liebesbeziehung verstecken muss, im Geheimen leben muss, mir mit dem Buschmesser Zeit aus dem Alltagsdschungel herausschneiden muss. Dabei kriege ich dann das schlechte Gewissen und fange an, das Wohnzimmer zu putzen, anstatt mir das Schreiben zu erlauben.

Wie sinnfrei ...

Aber ich bin diesem Mechanismus ja durchaus auf die Schliche gekommen, so dass ich eine Chance sehe, nicht ständig darauf reinzufallen. Das Bewusst-Werden des Problems ist ja schon ein großer Schritt in Richtung Lösung.

Ich darf schreiben. Ich darf Schriftstellerin sein. Ich darf kreativ sein. Und ich darf mir die dafür nötigen Frei- und Zeiträume gönnen.

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