Dienstag, 24. April 2018

"Immer ist alles schön" von Julia Weber - eine Rezension

»Immer ist alles schön« ist ein Roman von Julia Weber und ist 2017 im Limmat Verlag Zürich erschienen.

Dieses Buch ist wahrlich das traurigste, das ich seit langem gelesen habe. An manchen Stellen war es so traurig, dass ich meinte, nicht weiterlesen zu können.

Anais und ihr Bruder Bruno leben mit ihrer Mutter zusammen irgendwo am Rande der »normalen« Welt. Die Kinder gehen in die Schule, die Mutter arbeitet als Tänzerin in einer Bar und versucht, das Leben als alleinerziehende Mutter zu meistern. Oft braucht sie dazu Alkohol und immer wieder Männer. Männer, die in das Leben der Kinder kommen und die den Kindern Angst machen, ihre Welt zur verlieren, aber auch einen Hoffnungsschimmer von Normalität geben. Die Mutter allerdings beendet jede Beziehung, die ernster wird, fast fluchtartig, und die Dreisamkeit ist wieder hergestellt.

Anais und Bruno flüchten sich in ihre eigene innere Welt, in der auf der Straße aufgesammelten Dinge und viel Plunder im Haus eine tragende Säule ihrer Struktur einnehmen. So drücken sie der äußeren – meist chaotischen – Welt ein Gerüst auf, um den inneren Halt nicht zu verlieren. Dass Außenstehende, wie Anais‘ Klassenkamerad Peter, mit dem sie so gerne reden würde, diese Welt nicht begreifen können, macht die Sache nicht leichter.

Sie lieben ihre Mutter und versuchen mit allen Mitteln, ihre Welt vor Eindringlingen wie dem Riesen vom Jugendamt zu schützen.

Als die Mutter eines Tages vollständig verschwindet und nichts hinterlässt als eine Postkarte mit einem Gruß, lässt Anais für ihren Bruder eine fantastische Welt entstehen, um ihn über den Verlust seiner Mutter hinwegzutrösten. Die Wohnung wird mit Hilfe von diversen Materialien aus der Natur zu einem ganz eigenen Kosmos mit eigenen Regeln.

Ich habe selten ein Buch gelesen, das mich so tief im Herzen berührt hat, dass ich das kaum ertragen konnte, die Seiten umzublättern. Immer wieder wäre ich am liebsten in die Geschichte hineingestiegen und hätte die beiden Kinder da raus geholt und sie einfach in die Arme genommen. Die Charaktere der Kinder sind in ihrer kindlichen Welt meisterhaft gezeichnet und gehen einem tief unter die Haut.

Das Buch ist in der Ich-Perspektive aus Anais‘ Sicht geschrieben, was dem Geschehen eine noch intensivere Dimension verleiht, da man alles wirklich als nächster Nähe erlebt. Die Autorin lässt dem Leser keinen Fluchtweg, nimmt ihn mit in die tiefsten Empfindungen dieses Mädchens. Dazwischen gibt es Passagen aus der Sicht der Mutter, die eine zutiefst depressive Frau zeigen.

Schon allein wegen der Sprache, die Julia Weber hier benützt, lohnt es sich, dieses Buch zu lesen. Wunderschöne Sätze und Vergleiche zaubern eine fast traumhafte Atmosphäre, trotz des ernsten Themas.

Es ist ein Buch über die Liebe zwischen zwei Geschwistern. Zwei Kinder, die es fertig bringen, sich gegenseitig Halt zu geben. Sie kennen ihr Leben nicht anders und schaffen es irgendwie, damit fertig zu werden. Ich war tief betroffen. Anais und Bruno werden mich noch lange begleiten.

Donnerstag, 5. April 2018

Rezension zu "Hortensiensommer" von Ulrike Sosnitza

»Hortensiensommer« ist ein Roman von Ulrike Sosnitza und ist 2018 im Heyne Verlag erschienen.

Dieser Roman spielt in dem beschaulichen fränkischen Dorf Sommerhausen. Johanna, Gärtnerin von Beruf, lebt nach der Scheidung von ihrem Mann alleine in einem großen Haus mit Garten und sucht einen neuen Mieter für die freigewordene Einliegerwohnung. Philipp mit dem Panamahut, Lehrer, attraktiv und alleinstehend, schein der ideale Mieter zu sein. Nur das ausdrückliche Verbot, Johannas Garten zu betreten, ignoriert er geflissentlich. Nicht nur das, er beginnt auch noch, Johanna vorzulesen – und langsam öffnet sich Johanna für eine zarte Freundschaft mit ihm. Als jedoch auf einmal Philipps kleine Tochter auftaucht, ist Johanna wie von Sinnen. Sie kündigt das Mietverhältnis und möchte weder mit Philipp noch mit dem kleinen Mädchen etwas zu tun haben. Es wird sehr klar, dass sowohl Johanna aber auch Philipp eine Menge trauriger Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit haben, die erst einmal zwischen ihnen stehen.

Ulrike Sosnitza ist hier ein Roman gelungen, der weit jenseits von einer leichten Sommerromanze liegt, die das Buch auf den ersten Blick vielleicht versprechen mag. Hier geht es um ernsthafte Themen wie Familie, Scheidung, Verlust, Trauer und überhaupt das Zwischenmenschliche, das mitunter sehr schwierig sein kann. All diese Themen sind auf sehr einfühlsame und liebevolle Weise behandelt. Der Schreibstil kommt flüssig und leicht rüber, das Buch lässt sich ohne große Haken und Hänger lesen. Nur am Ende des ersten Drittels gibt es so ein paar Seiten, wo man durch muss, bevor die Handlung wieder richtig anzieht. Dann jedoch kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis man herausgefunden hat, was hinter Johannas Geheimnis steckt.

Beide Hauptcharaktere sind gut ausgearbeitet und wirken mit all ihren Schwächen und Fehlern so lebensecht, wie man es sich von Charaktere nur wünschen kann. Johanna mit ihrer seelischen Not handelt mitunter etwas impulsiv, aber das ist in Anbetracht ihrer Situation durchaus realistisch. Philipp ist ein Traummann, der sich kümmert und auf ganz liebevolle Weise für Johanna da ist, gerade als er von ihrem Geheimnis erfährt und sie selbst nicht in der Lage ist, klar zu sehen.

Neben diesen Themen bekommt der Leser auch noch einen wunderschönen Einblick in die Gärtnerei, die Liebe zu den Pflanzen und einige wirklich gelungene Garten- und Pflanzenbeschreibungen. Einfach schön.

»Hortensiensommer« ist ein wirklich emotionaler Roman, der einen noch lange nach dem Lesen weiter beschäftigt. Ich habe ihn sehr gerne gelesen und kann ihn nur weiterempfehlen.

Samstag, 24. März 2018

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Heute habe ich eine echte Überraschung erlebt: da lässt man die Kinder mal ein bisschen ihre Langeweile ausleben und bietet ihnen nicht ständig ein Programm, mit dem sie beschäftigt sind. Und was tun sie? Na klar. Kreativ sein. Erst mal maulen und jammern sie rum, dass sie nicht wissen, was sie tun sollen, aber dann ...

Meine Tochter (9) hat den Nachmittag über eine Geschichte geschrieben, die sie dann vorgetragen hat und mein Sohn (7) hat die Geschichte dazu mit selbstgebastelten "Schauspielern" als Tischpuppenspiel vorgespielt. Jede Menge Requisiten (Lavastrom, Lottogeschäft, Hasenhöhle, Krokodilhaus), liebevoll ausgeschnittene und verzierte Figuren.

Geschichten ausgedacht und auf diese Weise vorgetragen haben sie ab und zu schon mal gemacht. Was diesmal total neu war, war das Niederschreiben. Drei DIN A4 Seiten hat sie voll geschrieben:

Geschichte

Die Geschichte hatte alles, was eine Geschichte so braucht: Anfang, Mittelteil, Schluss, ein paar interessante Figuren (Hasenfamilie Grashobals und das Krokodil Jäckson, Biene Maja, Königin und König) Konflikte (Krokodil und Hasenfamilie streiten um einen Lottogewinn - zwei Magische Eier) en masse und ein paar echt witzige Passagen.

Und die Figuren waren echt süß. Am besten hat mir das Krokodil Jäckson gefallen

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Ich habe mir nur gedacht, das ist ja gigantisch, sie schreibt an einem Nachmittag mehr, als ich die ganze Woche schaffe.

Was soll man da sagen außer: Früh übt sich.

Dienstag, 20. März 2018

Der März und die Krankheiten

Es ist doch jedes Jahr das Gleiche ... mitte März überkommt mich immer eine ganz unerträgliche Ungeduld. Ich mag einfach nicht mehr. Weder die ewigen Erkältungen, von denen sich keiner zu erholen scheint und die ständig im Kreis herumgegeben werden, noch dieses verdammte Wetter. Schnee. Schon wieder Schnee. Und saukalt. Wer braucht schon Schnee und Saukalt an einem 20. März? Morgen ist Frühlingsanfang! Und wenn ich mir die Vorhersage anschaue, kommt mir das kalte Grausen. Schnee an Ostern!!!! Ja, ich weiß, die Kids haben an einigen Osterfesten die Eier im Schnee gesucht. Brauchen tut das trotzdem keiner.

Ich möchte am liebsten rausgehen und den Schnee anschreien, dass er sich endlich nach Sibirien oder an den Nordpol verziehen soll. Ich kriege so richtig Schlechte-Laune-Anfälle. Erst kommt er monatelang nicht und wir haben Fönwetter und 16° an Weihnachten, und dann will er nicht mehr gehen. Unerträglich.

Ich habe mich den ganzen Winter hindurch gesundheitstechnisch gut geschlagen. Aber jetzt hat es mich auch erwischt. Schnupfen, Husten, alles hängt fest, nix will raus oder weg und eigentlich fühle ich mich die ganze Zeit nur sch***. Die Kinder kränkeln auch vor sich hin. Kaum sind sie wieder halbwegs auf dem Damm, geht schon wieder was los. Ewig muss man Kinderbetreuung organisieren oder selbst nicht in die Arbeit gehen, alles geht drunter und drüber. Ich glaube wir hatten kaum eine Woche in letzter Zeit, wo alles normal lief. Das ist so verdammt anstrengend, kostet so viel Kraft und Nerven und macht überhaupt keinen Spaß.

Ich möchte auch so gerne wieder laufen gehen (aber bitte nicht im Fitnessstudio auf'm Laufband). Raus an die Luft, in den Wald, Sonne tanken, Wärme tanken. SEHNSUCHT!!!!!!

Liebes Universum, ich wünsche mir Frühling!

Montag, 5. März 2018

Scheitern und Gelingen

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Immer wieder wundere ich mich über das Auseinanderdriften davon, wie andere Menschen einen erleben und wie man sich selbst sieht. Ich höre oft von außen »ist ja toll, was du alles schaffst« oder auch »wie schaffst du das nur alles?«. Ich stehe dann immer etwas verwundert da und denke mir: du hast ja keine Ahnung. Ich schaffe überhaupt nichts. Gar nichts. Im Gegenteil. Das Leben ist in vielen Teilen ein ständiger Kampf, nicht aufzugeben und das, was einem lieb und wichtig ist vollends zu verlieren oder wütend in die Ecke zu schmeißen, weil man es nicht mal halbwegs so hinbekommt, wie man sich denkt, dass es sein soll.

In meinen allerschönsten Vorstellungen habe ich einen halbwegs ausgearbeiteten Wochenplan dessen, was ich schaffen und erreichen möchte, sowohl schreibtechnisch als auch von den sonstigen zu erledigenden Dingen. Dann setze ich mich diszipliniert und in vollem Besitz meiner geistigen Fähigkeiten und Konzentration an die Aufgaben und erledige sie. Am Ende der Woche habe ich dann das Gefühl, etwas geschafft und erreicht zu haben. Das ist die Theorie.

Die Realität schaut vollkommen anders aus. Ich schaffe es nicht mal, mir einen Wochenplan auszudenken, der auch nur im Ansatz die Chance hat, durchgeführt zu werden. Bei meinem Romanprojekt zum Beispiel habe ich keinen blassen Schimmer, wie die nächsten Schritte konkret auszusehen haben. Natürlich weiß ich, dass ich mich hinsetzen muss, eine Struktur ausarbeiten, die Figuren entwickeln, das alles zusammenfügen, einen Kapitelplan machen, so dass ich mich anschließend hinsetzen und das Ding runterschreiben kann. Die wunderbare, glasklare Grundidee ist super. Aber was tue ich konkret, wenn ich eine halbe Stunde Zeit habe, mich mit meinem Romanprojekt zu beschäftigen? Ich frage mich, ob es besser ist, den Laptop hochzufahren oder ob ich das Notizbuch hernehmen soll. Bin schon zerrissen zwischen diesen Welten, bevor ich mir überhaupt überlegt habe, WORAN ich jetzt arbeite. Dann setze ich mich hin und denke ich ein bisschen über die Hauptfigur nach, mache ein paar halbherzige Notizen und dann ist die halbe Stunde vorbei. Und ich habe das Gefühl, rein gar nichts geschafft zu haben.

Ich fühle, ich bin gescheitert. Mal wieder.

Um diesem Gefühl des Scheiterns zu entgehen, tendiere ich dazu, in diesen kurzen Momenten lieber Dinge zu tun, die mir tu-bar erscheinen. In einer halben Stunde kann ich locker ein paar Seiten lektorieren, da muss ich nicht erst darüber nachdenken, was ich als nächstes tun muss. Hinsetzen, lesen, korrigieren. Kein Problem. Oder schnell ein paar Emails beantworten. Schnell was nachschauen, schnell dies, schnell das.

Dabei verliere ich immer mehr das aus den Augen, was ich wirklich tun will, was mir seelenwichtig ist. Das liegt irgendwo im Hinterstübchen meines Gehirns, groß und schwer, will angepackt werden, lässt sich aber nicht so recht ergreifen. Was ist dieses Große eigentlich genau? Und wie kann ich es definieren, erlebbar und damit anpackbar machen? Das Große in meinem Kopf ist natürlich das Schreiben. Der Wunsch, Schriftstellerin zu sein, als Schriftstellerin zu leben. Was auch immer das genau bedeutet. Von der Ferne betrachtet ist es ein wunderschöner Kristall, der in der Sonne in allen möglichen Farben glitzert. Eine romantische Idee vom Sitzen in Cafés oder in einem Zimmer mit See- und Bergblick, Notizblock, Laptop, Gedanken fließen in die Feder, lassen sich in wunderschöne Worte verpacken, zu Geschichten verweben. Alles ist im Fluss, leicht wie eine Schneeflocke, lässt sich formen und drehen und hinten kommt ein Meisterwerk heraus.

Geht man näher heran an diesen schimmernden Kristall, dann wird er zu einem riesigen Berg, der romantische Traum liegt irgendwo auf der Spitze. Vielleicht. So genau kann man das von unten nicht sehen. Der Berg selbst besteht aus härtestem Glas, so glatt und steil, dass man keine Aufstiegsmöglichkeit finden kann. Und hat man doch den Pickel irgendwo hineingehauen und sich ein paar Zentimeter nach oben gehievt, muss man anhalten und stillstehen, um sich den weiteren Weg zu erschließen. Man tut und macht, man versucht dies und jenes, nichts ist in Bewegung, nichts geht vorwärts, nichts fließt, man ist froh, nicht wieder hinunterzufallen. So kommt mir vor. Und dennoch erschließt sich auf einmal wieder ein Wegstück, liegt hell und klar vor einem und man kann weitergehen.

Die Frage meines Lebens lautet also: Wie kann man den Berg in kleine begehbare Wegstückchen verwandeln?
Ich denke, für mich liegt die Lösung hier:

Erstens: Mir absolut klar zu sein, dass ich bereits eine Schriftstellerin bin, und nicht erst werden muss. Ich muss nicht auf die Spitze dieses Berges, um das zu sein, was ich sein will. Soll heißen, nur weil ich noch keinen großartigen, nobelpreisverdächtigen Roman in einem großen Verlag veröffentlicht habe, bin ich deswegen nicht ein bisschen weniger Schriftstellerin, als ich es mit solch einem Erfolg wäre.

Zweitens: Schreiben ist nicht das Sitzen an einem bestimmten Ort mit Berg- oder Seeblick und die Worte fließen einem wunderbarerweise in die Feder. Schreiben ist harte Arbeit. Schreiben kann einsam machen, die Familie gegen einen aufbringen, schreiben bedeutet, um Formulierungen zu ringen, vor dem Computer zu sitzen und Buchstaben aneinanderzureihen, so dass es sinnvolle Worte und Sätze werden. Schreiben heißt, der Kreativität den Raum zu geben, dass sie arbeiten kann und ihr nicht durch allerlei selbstzerstörerisches Verhalten das Wasser abzugraben. Schreiben heißt auch, sich auf die Couch zu setzen und Löcher in die Luft zu starren, um die kreativen Quellen im Inneren in Bewegung zu bringen. Das darf ich tun, ohne vor schlechtem Gewissen zu vergehen. Irgendwann, Tage, Wochen oder Monate später macht es »plopp« und auf einmal dringen Ideen, Wörter, Sätze nach oben, die man nur noch aufschreiben muss.

So betrachtet bin ich eine äußerst fleißige Schriftstellerin. Mein Kopf arbeitet immer an irgendwas, selbst wenn ich in der Arbeit sitze und Zahlen in den Computer hacke. Diese Idee jetzt noch so in meinem Bewusstsein zu verankern, dass ich sie mir selbst mit meinem ewigen Zweifeln nie wieder nehmen kann, das muss ich noch tun.

Am Ende bleibt die Frage der Zeiteinteilung. Wie kann ich diese Zeitfetzen, die mir hier und da zufliegen, sinnvoll nutzen und sie zu einem großen Zeitteppich zusammenweben, so dass etwas vernünftiges dabei herauskommt? Wie kann ich mir das Gefühl ausreden, dass ich mit so wenig zusammenhängender Zeit nichts schaffen kann? Wie kann ich mich dazu bringen, größere Zeitfenster, die ich habe, wirklich dem Schreiben zu widmen und nicht irgendwas etwas anderes aus der schier endlosen To-Do-Liste einer berufstätigen, vielbeschäftigten Mutter zu erledigen? Was kann ich tun, um mir selbst zu erlauben, dem Schreiben die verdiente Priorität einzuräumen? Immer wieder kommt mir der Gedanke, dass ich mir selbst im Weg stehe. Weil ich zu schwach bin, meine Liebesbeziehung mit der Schriftstellerei offen und klar nach außen zu kommunizieren, voll und ganz dahinter zu stehen, der Außenwelt keinerlei negative Einmischung zu erlauben. Das fällt mir unglaublich schwer. Wie oft habe ich das Gefühl, dass ich diese Liebesbeziehung verstecken muss, im Geheimen leben muss, mir mit dem Buschmesser Zeit aus dem Alltagsdschungel herausschneiden muss. Dabei kriege ich dann das schlechte Gewissen und fange an, das Wohnzimmer zu putzen, anstatt mir das Schreiben zu erlauben.

Wie sinnfrei ...

Aber ich bin diesem Mechanismus ja durchaus auf die Schliche gekommen, so dass ich eine Chance sehe, nicht ständig darauf reinzufallen. Das Bewusst-Werden des Problems ist ja schon ein großer Schritt in Richtung Lösung.

Ich darf schreiben. Ich darf Schriftstellerin sein. Ich darf kreativ sein. Und ich darf mir die dafür nötigen Frei- und Zeiträume gönnen.

Samstag, 3. März 2018

Winterstarre

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Nach einer Woche extremer Kälte war es heute morgen vergleichsweise heiß. Das Thermometer meldete -2 Grad und ich hatte das Gefühl, ich müsse meinen Wintermantel von mir werfen. Nur im Bus hatte sich noch die Kälte der letzten Tage festgesetzt, da ist es gleich gar nicht warm geworden und gezogen hat es noch dazu. Ich habe meinen Wintermantel wieder angezogen und gut zugemacht.

Eigentlich mag ich kalte Winter. Dieses Klirren der Luft, wenn man aus der Wohnung nach draußen tritt. Diese Starre der Welt, alles ist festgefroren, nichts kann sich rühren. Nur der Wind ist noch in Bewegung, schneidet wie japanische Messer in die Wangen. Man meint, jeder kleinste Feuchtigkeitstropfen an der Nase friert sofort fest und stellt den Beginn eines Eiszapfens dar. Mütze allein reicht nicht, die Kapuze muss unbedingt auch noch drüber. Die Schönheit der Natur ist umwerfend. Ich liebe zugefrorene Seen, vor allem, wenn das Eis glasklar ist und man bis in die Tiefe hinunterschauen kann. Eingefrorenes Schilf, Stöckchen, Gräser und Blubberblasen irgendwo eingeschlossen im ewigen Eis. Besonders schön finde ich Eiszapfen. Wind und Wasser haben bizarre Formen geschaffen, über und über vereiste Bänke an Seeufern, surreale Formen überziehen die wassernahen Äste von Büschen und Bäumen. Wunderschön.

Allerdings gibt es da auch noch die andere Seite: Nie sonst überkommt mich so sehr das Bedürfnis nach Winterschlaf. Ich will einfach im Bett bleiben und mich nicht rühren müssen. Ich beneide Bären und Igel und anderes Getier, das sich einfach in eine Höhle verkriechen kann und nicht funktionieren muss. Der Mensch muss funktionieren. Zum Einen ist er nicht für den Winterschlaf gebaut, zum anderen kommen Schule, Arbeit, all diese Dinge nicht zum Stehen, nur weil es draußen kalt ist. Heutzutage müssen wir der Kälte trotzen. Und so quälen wir uns in eine dreifache Schicht von Klamotten und gehen hinaus, nur um festzustellen, dass die vom Mensch erschaffene Welt der Kälte nicht gewachsen ist. Mein Auto hat sofort gestreikt. Batterie zu schwach (inzwischen habe ich eine neue - es geht wieder). Die S-Bahn wollte anfangs nicht mehr. Weichen festgefroren, Oberleitungen vom Triebwagen mitgenommen, überall stecken Menschen im Chaos fest und es geht nix vorwärts und nichts zurück. Sogar die U-Bahn verzeichnet Zugausfälle, weil die Depots im Freien sind und die Kälte für allerlei Probleme sorgt.

Mir selbst - so kommt es mir bisweilen vor - friert bei solchem Wetter das Hirn ein. Ich kann gar nicht mehr gescheit denken, ich kann nur noch denken, ich will weg hier. Weg hier. Raus aus diesem schneidenden Wind, dieser Kälte. Alles so unangenehm. (Nein, ich werde nie ein Bewohner Sibiriens werden).

Da meine ich immer, dass wir doch das Recht haben sollten, bei solchen Temperaturen nicht funktionieren zu müssen. Einfach daheim bleiben zu dürfen und die Natur machen zu lassen, das würde ich mir wünschen.

Samstag, 24. Februar 2018

Über die Flüchtigkeit des Lebens

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Es ist altbekanntes Wissen, dass jedes Leben irgendwann sein Ende findet. Geht alles seinen normalen Gang, erreicht der Mensch ein Alter von, sagen wir mal, durchschnittlich 80 Jahren. 80 Jahre auf dieser Erde sind doch eine gewaltig lange Zeit und von Flüchtigkeit kann hier nicht die Rede sein. Das Leben scheint lang und ausdauernd, und wenn man sich selbst so betrachtet, steckt es felsenfest in einem drin und macht keine Anstalten, das Weite zu suchen.

Und dennoch gibt es immer wieder Geschehnisse, die einen daran erinnern, wie schnell das Leben verschwinden kann, und die betroffene Person nicht mal in die Nähe der 80 Jahre kommt. Hier fallen einem auf Anhieb ein Unfall oder eine schwere Krankheit ein.

Vor allem bei ersterem wird ein Leben ausgelöscht, das unter Umständen noch viel, viel länger hätte dauern können. Wäre man doch nur pünktlich losgefahren, hätte man, wie ursprünglich geplant, einen anderen Zug genommen, einen anderen Flieger, besser aufgepasst ... ein ewiges Hätte-Wäre-Könnte setzt hier ein, die Gedanken kreisen um diese unendlichen Möglichkeiten, wie dieser tragische Unfall hätte verhindert werden können.

Bei Krankheit ist die Sachlage eine andere. Es gibt wenige Krankheiten, die man durch Hätte-Könnte-Sollte verhindern hätte können. Wenn der Organismus - aus welchem Grund auch immer - schwach ist und eine tödliche Krankheit entsteht, dann kann man nicht aus. Gefangen in einem dahinsiechenden Körper muss man das Schicksal ertragen, wozu auch immer es gut sein mag, und früher als einem lieb ist Abschied nehmen von dieser Welt und den lieben Personen um einen herum. Vielleicht empfinden es alle Beteiligten erst einmal als Erleichterung, dass das Leiden und die damit verbundenen seelischen Belastungen ein Ende gefunden haben. Dennoch ist ein Leben zu Ende gegangen, das unter anderen Umständen vielleicht länger gedauert hätte. Auf einmal gibt es Waisen, oder verwaiste Eltern oder, oder, oder.

Ganz perfide wird es, wenn man sich mit einem Mord konfrontiert sieht. Mord ist etwas, das in den Zeitungen steht. Das man im Radio hört, im Internet liest. Es ist nichts, was MIT EINEM PERSÖNLICH etwas zu tun hat. Bis es dann eben doch anders kommt. Da hört man von einem Doppelmord in Petershausen, ach ja, wieder so ein Spinner, der zwei Frauen umgebracht hat. Schlimm, schlimm, die waren ja so alt wie ich, ja, ja - was tue ich denn heute auf die Pausenbrote? Und dann, keine zwei Stunden später trudelt eine Email ein, dass eine der ermordeten Personen jemand war, mit dem man 13 Jahre lang in die Schule gegangen ist.

Wie bitte? WIE BITTE????

Was schreibst du da? Eine von diesen Frauen ist M.? Aus meiner Klasse? Mit der ich im Grundschulalter doch auch befreundet war? Bei der ich übernachtet habe? Deren Schwester mit meiner Schwester total eng war. Die mich immer zum Geburtstag eingeladen hat.

Ermordet? Er ... WAS??? Sie????

Ach du heilige Sch***. Ich habe M. seit gut 21 Jahre nicht mehr gesehen. Mindestens. Aber trotzdem habe ich ein klares Bild vor mir aus einem der letzten Jahre an der Schule, ein fast erwachsenes Mädchen, lange dunkelblonde, ins rötliche gehende Haare. Still. Immer so ein bisschen in einer anderen Welt, so habe ich sie in Erinnerung. Wer kommt denn auf die Idee, so jemanden umzubringen? Die Tatsache, die ich etwas später per Totenanzeige schwarz auf weiß vor mir liegen habe, dringt lange nicht in ein fühlbares Erleben vor. Ich weiß es, mir gruselt es, wenn ich darüber nachdenke, aber mein Gehirn weigert sich nach wie vor eine wirklich tiefergehende emotionale Reaktion zu produzieren. Kurz: ich kann es einfach nicht fassen. Vielleicht fasse ich es morgen, wenn die Trauerfeier stattfindet und ich mit so einigen anderen Klassenkameraden daran teilnehmen werde. Vielleicht dann.

Wenn man darüber nachdenkt, erscheint einem das Leben als ein sehr flüchtiger, ja zerbrechlicher Wegbegleiter. Wie schnell man es zerbrechen kann, unwiderruflich auslöschen, mit roher Gewalt. Es ist wirklich erschreckend. Und macht nachdenklich.

Sonntag, 18. Februar 2018

Erinnerungen I

Mir ist es ein dringendes Bedürfnis, die eine oder andere Erinnerung an meine Oma niederzuschreiben. Am Freitag habe ich es mir gedacht, in Anbetracht des sich sehr im Wandel befindlichen Hauses (*HEUL*). Ich hatte außerdem Fotos in der Hand von früheren Geburtstagsfeiern, wo meine Oma noch lebte ... diese Wärme und Geborgenheit, die alleine der Anblick dieser Bilder für mich ausstrahlten war enorm groß. Und machten den Kontrast zur heutigen Situation ums deutlicher. Die Erinnerung muss her und der Schmerz muss gefühlt und zugelassen werden. Glaube ich. Sonst komme ich da nicht durch.

Heute möchte ich jedoch eine ganz andere Erinnerung festhalten. Ich habe vor ein paar Tagen die wunderbare Kür des Eiskunstlaufpaars Savchenko / Massot angeschaut und da ist die Erinnerung in mir aufgestiegen, wie ich früher, als ich noch daheim wohnte, mit meiner Oma zusammen immer den Eiskunstlauf-Wettbewerb der Olympischen Spiele verfolgt habe. Besonders geliebt haben wir beide den Paarlauf und dabei die Kür, das hatte immer sowas ästhetisches, wunderbares. Etwas leichtes. Perfekte Synchronizität in den Pioretten und Sprüngen waren für unsere Augen immer reine Poesie. Fachmännisch haben wir über das Gelingen von Rittbergern, Axeln, Teufelsspiralen und wie diese Figuren und Sprünge alle heißen, gefachsimpelt. (Ohne auch nur einen blassen Schimmer davon zu haben). Ich selbst mochte immer die gigantische Kraft, die diese Läufer an den Tag legen, wenn sie rückwärts fahren, auf diese Weise Schwung holen für den nächsten Sprung. Wir klebten vor dem Fernseher - erst war es so eine alte Kiste mit Antenne, die man durch die Wohnung fahren musste, um den besten Empfang zu finden. Später gab es ein moderneres Gerät. Wir haben die Wertungen studiert und uns über die Unmöglichkeiten der Jury aufgeregt ... es war einfach nur wunderbar.

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