Sonntag, 28. Januar 2018

Absturz

Ich trage einen Nervenzusammenbruch in mir herum. Dieses tiefgreifende Flattern von Nerven, dieses unerträgliche Gefühl, der Umwelt mit all ihren Herausforderungen nicht mehr gewachsen zu sein. Meine Nerven flattern und meine Seele zerfällt, franst aus, verteilt sich als desintegriertes Etwas. Verloren. Ein Kloß steckt im Hals, Tränen lauern jeden Augenblick in den Augenwinkeln. Mein Körper fühlt sich an, als hätte er keine tragenden Knochen. Ein Haufen Elend.

Warum das alles? Ich habe lange reflektiert und nachgedacht und ich glaube, dass ich gerade wieder an einem intensiven Wegpunkt der Trauerarbeit angekommen bin. Ein weiteres Stück Abschied ist vollzogen, wenn auch nicht in seiner Gänze akzeptiert. Ich habe mit meiner Oma eine Bezugsperson verloren, die, so im Nachhinein betrachtet, die wichtigste Bezugsperson meines Lebens war. Sie hat mir immer und zu jeder Gelegenheit einen Ort gegeben, wo ich einfach sein konnte. Zu jedem Augenblick war sie mit einem offenen Ohr anwesend, man konnte zu ihr kommen, einen Pott Tee kochen und zur Ruhe kommen. Oder sich auskotzen. Einen Rat abholen. Einfach nur reden. So war das immer. Als Kind und Jugendliche habe ich sie als jemanden erlebt, der Stütze gab, wo Chaos herrschte. Sie hatte immer ein Licht parat für dunkle Tage. Sie hat es geschafft, für mich ein Refugium zu sein. Ein Schutzraum, wo man für ein paar Stunden dem Sturm entkommen konnte.

Ich habe, so wurde es mir schmerzlich bewusst, nicht nur das verloren. Auch der Ort, der physikalische Ort, dieses Haus, diese Wohnung, ist jetzt vergangen. Ich möchte nicht auf die unsäglichen Dinge eingehen, die in den letzten Wochen und Monaten passiert sind. Denn sie sind unsäglich, unbeschreiblich, die Axt dieser Geschehnisse treibt ihre Klinge tief in hinein in mein Nervensystem. Aber dieser Ort der Ruhe ist jetzt verloren. Natürlich hat er sich in den letzten Monaten Stück für Stück aufgelöst, Buch um Buch, Möbelstück um Möbelstück, Inventar, Instrumente, CDs, Noten, eins nach dem anderen ist verschwunden. Die Einheit ist zerrissen, ausgefranst. Allein der Geruch hängt noch in der Luft wie ein sanfter Bote aus der Vergangenheit.
Jetzt ziehen dort also irgendwelche Leute ein – ja, das ist der Lauf der Dinge – aber diese irgendwelchen Leuten wurden einzugswilligen Familienmitgliedern explizit bevorzugt. Und das muss der Lauf der Dinge nicht sein. Der Wille meiner Oma wurde missachtet, in die Mülltonne getreten. Jetzt liegt sie ja unter der Erde, da kann man es ja machen. Es ist ein so tiefer Schmerz, den dieser letzte Vollzug des Abschieds schwarz auf weiß sichtbar macht, dass ich nicht weiß, wie damit umgehen. Es hätte anders sein sollen – so war es der ausdrückliche Wunsch – diesen wunderbaren Ort in der Familie halten, das war das Ziel. Verloren. Paradise lost. Und Verluste schmerzen, manche mehr, manche weniger. Dieser zerbricht meine Seele. Und ich habe keine Ahnung, wie ich die pulverisierten Überbleibsel dieser Explosion je wieder aufsammeln und zusammensetzen soll. Es erscheint mir so herkulesmäßig, schier unmöglich. Mir fehlt jede Kraft.

Ein weiterer Schritt der Trauer. Ein schwerer. Ich dachte, es müsste besser werden. Ich befürchte, nach unten ist noch jede Menge Luft.

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